Wenn wir nicht erinnern, wer dann?

Wenn wir nicht erinnern, wer dann?

Filmpremiere zum Außenlager Retzow-Rechlin

22.02.2019 - Rechlin. Die Aula der Regionalen Schule Rechlin war am gestrigen Tag um die Mittagszeit bis auf den letzten Platz besetzt. Mehr als 80 Jugendliche und erwachsene Gäste nahmen an der Premiere des Filmes „Wenn wir nicht erinnern, wer dann?“ teil.

Der Film handelt von der Spurensuche Jugendlicher. Auf Initiative und im Rahmen des RAA-Projektes zeitlupe | Stadt.Geschichte&Erinnerung haben Schülerinnen und Schüler der Regionalen Schule Rechlin fast zwei Jahre lang die Geschichte des ehemaligen KZ-Außenlagers Retzow erforscht, das sich einst vor ihrer Haustür befand. Das Dorf Retzow, heute ein Teil von Rechlin, liegt in der südlichen Müritzregion. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs befand sich hier ein zentrales Außenlager des Konzentrationslagers Ravensbrück: Zunächst waren hier männliche Häftlinge untergebracht, dann, ab Juli 1944 Frauen und Mädchen – ihre Zahl schwankte zwischen 1.500 und 3.000. Sie stammten aus verschiedenen Nationen, viele waren Jüdinnen, einige aus der Gruppe der Sinti und Roma. Alle kamen aus anderen Lagern, wie z.B. aus Auschwitz oder Ravensbrück.  Außenlager gab es viele, auch in Mecklenburg-Vorpommern: in Retzow, in Malchow, in Neubrandenburg, in Barth – über 40 allein, die zum KZ Ravensbrück gehörten.

Spurensuche vor der Haustür hieß für die Jugendlichen auch, Zeitzeugen zu suchen und Experten zu befragen. Sie besuchten mit ihrer Lehrerin das Luftfahrttechnische Museum in Rechlin. Auch ließen sie sich von der Witwe des wichtigsten Regionalforschers, Heinrich Ross, Details zu den Forschungen erzählen. Und sie fanden eine Zeitzeugin, die als Kind vor Ort wohnte und sich an die KZ-Häftlinge in Retzow erinnerte.

Eine besondere Zeitzeugin für die Jugendlichen jedoch war die Ungarin Judit Varga-Hoffmann. Die Rechliner hatten Kontakt mit der heute in Budapest lebenden Judit Varga-Hoffmann aufgenommen.

Im Jahre 1944 war sie mit ihrer Familie nach Ausschwitz deportiert worden. Ihr Vater und ihr Bruder wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Die damals 17-Jährige kam von Auschwitz in das Außenlager Gleiwitz. Dort musste sie schwere Zwangsarbeit für die Deutschen Gasrußwerke verrichten. Im Januar 1945, mitten im Winter, evakuierte die SS die Häftlinge von der näher rückenden Kriegsfront ins Deutsche Reich, um sie weiter in der Rüstungsindustrie auszubeuten. Nach tagelanger Fahrt in offenen Waggons traf sie im Frauen-KZ Ravensbrück zufällig ihre Mutter wieder. Doch die Freude währte nur kurz. Zwar kamen beide zusammen in das KZ-Außenlager Retzow. Aber dort musste Judit erleben, wie ihre völlig geschwächte Mutter, Helén Hoffmann, vor ihren Augen starb.

Junge Filmemacher*innen werden für ihr Engagement gewürdig. Bild: RAA M-V, 2019
Junge Filmschaffende werden für ihr Engagement gewürdigt. Bild: RAA M-V, 2019

Der Film zeigt was passiert, wenn junge Menschen sich auf den Weg machen, Fragen stellen und sich für die Geschichte ihrer Region interessieren.

Anwesend bei der Premiere waren auch die Regisseurin Anja Schmidt und der Kameramann Carsten Büttner (RAAbatz Medienwerkstatt), die die Jugendlichen über zwei Jahre begleiteten und die Auseinandersetzung filmisch dokumentierten.

Im Premierenpublikum saßen Schülerinnen und Schüler, die die Klassen 7 bis 10 der Regionalen Schule Rechlin besuchen. Stolz waren sie auf ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, in der Diskussionsrunde äußerten mehrere ihre Bewunderung für deren Durchhaltevermögen. Geduldig beantworteten die Jugendlichen Fragen. Aber auch die Projektleiterin, Elke Gamlin, ehemals Lehrerin für Geschichte und Englisch an der Rechliner Schule, sowie die Regisseurin Anja Schmidt und Sieghart Schubert, ehemaliger Gitarrist der berühmten DDR-Rockband Renft, der eigens für den Film die Musik komponiert hat, standen Rede und Antwort.

Ein junger Mann brachte auf den Punkt, was mehrere so oder ähnlich in der Diskussion hervorbrachten: „Normalerweise mag ich keine Dokumentarfilme, aber diesen hier, den habe ich echt gern gesehen; das spielt ja im Grunde alles vor unserer Haustüre, wir kennen die Orte, wussten aber gar nicht, was es mit diesen so alles auf sich hat. Spannend, echt! Man kriegt Lust selber so ein Projekt zu machen...“.

Dem 30-minütigen Film wird Anja Schmidt von der RAAbatz Medienwerkstatt einen zweiten Teil hinzufügen. Die Filmemacherin schneidet bereits an dem großen Zeitzeugeninterview, das sie und Carsten Büttner in Budapest mit Judit Varga-Hoffmann geführt haben. Beide Filme zusammen werden ab dem neuen Schuljahr Teil einer Unterrichtseinheit, die das Projekt zeitlupe auf einer DVD vorbereitet.

Der Film „Wenn wir nicht erinnern, wer dann“ ist ein Kooperationsprojekt des RAA-Projektes zeitlupe | Stadt.Geschichte&Erinnerung und der RAAbatz Medienwerkstatt Mecklenburgische Seenplatte und der Träger ist die RAA Mecklenburg Vorpommern e.V.

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