„Ich sehe in der Erziehung den Schlüssel für eine bessere Zukunft. Es ist so leicht, Hass einzuprägen – und so schwer Liebe und Respekt für den anderen.“ Batsheva Dagan (1925-2024)

„Ich sehe in der Erziehung den Schlüssel für eine bessere Zukunft. Es ist so leicht, Hass einzuprägen – und so schwer Liebe und Respekt für den anderen.“ Batsheva Dagan (1925-2024)

Batsheva Dagan 2007 mit Constanze Jaiser beim 3. Generationenforum der Dr. Hildegard Hansche Stiftung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

„Ich sehe in der Erziehung den Schlüssel für eine bessere Zukunft. Es ist so leicht, Hass einzuprägen – und so schwer Liebe und Respekt für den anderen.“ Mit diesen Worten schloss Batsheva Dagan im Mai 2006 ihre Ansprache vor Schüler:innen und Lehrer:innen des Neustrelitzer Karolinum-Gymnasiums. Oft hat sie dies wiederholt. Es ist für mich das zentrale Motto ihres Jahrzehnte währenden internationalen Engagements.

Am 25. Januar 2024 verstummte Batsheva für immer. Für mich eine der wichtigsten Stimmen der Erinnerung an Auschwitz. Eine unermüdliche Kämpferin für eine bessere Welt, für Dialog und Begegnung.

 

Batsheva Dagan – von Łódz nach Schwerin

Batsheva Dagan (Vorkriegsaufnahme)
Batsheva Dagan (Vorkriegsaufnahme)

Batsheva Dagan kam am 8. September 1925 als Izabella Rubinstein in Łódz zur Welt. Nach der Besetzung Polens ging sie mit einem Teil der Familie nach Radom. Nachdem die Deutschen dort 1942 ein Ghetto errichtet hatten, floh sie mit gefälschten Papieren nach Deutschland. Bei einem Landgerichtsrat arbeitete sie in Schwerin zwangsverpflichtet als Dienstmädchen. Aufgrund einer Denunziation verhaftete die Gestapo die junge jüdische Polin. Zunächst in Güstrow inhaftiert, dann in weiteren Gefängnissen, unter anderem auch in Neubrandenburg, deportierte die Gestapo sie schließlich in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Dort überlebte sie schließlich nur, weil ihr Mithäftlinge eine Arbeit im Trockenen verschaffen konnten. In der sogenannten „Effektenkammer“ in Auschwitz-Birkenau musste sie Kleidung sortieren – und hörte von Weitem die Klagen und Schreie jener Kinder, Frauen und Männer, die die SS in die Gaskammern pferchte.

Von Auschwitz nach Malchow

Nach 20 Monaten Haft erreichte die 19-Jährige mit einem Räumungstransport Ravensbrück im Januar 1945. Wie viele jüdische Frauen und Mädchen wurde sie von dort nach kurzem Aufenthalt in das Außenlager Malchow (Mecklenburg) gebracht. In der dortigen Munitionsfabrik mussten seit 1943 viele weibliche Häftlinge Zwangsarbeit leisten. 1945 war das Lager mit 5.000 Frauen und Mädchen nurmehr ein überfülltes Sterbelager, in dem unbeschreibliche Zustände herrschten. Batsheva Dagan kam zusammen mit anderen auf die Idee, alte Stofffetzen zu flechten und zu Fußmatten zusammenzunähen, um sich so eine Extraportion Suppe zu verdienen.

Von Brüssel nach Palästina

Nach ihrer Befreiung emigrierte sie nach Palästina, wo sie 1946 heiratete und zwei Söhne bekam. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes 1957 brachte sie sich und ihre Kinder als Kindergärtnerin durch und absolvierte gleichzeitig ein Studium der Psychologie. Danach lebte Batsheva Dagan in Holon bei Tel Aviv. Als Kinderpsychologin arbeitete sie viel mit verhaltensauffälligen und mit behinderten Kindern. Auch bildete sie Erzieher:innen und Lehrer:innen für den psychologischen Dienst aus.

International unterwegs 

Batsheva Dagan 2009 mit Mädchen von Reachina (Berlin-Neukölln) beim 5. Generationenforum der Dr. Hildegard Hansche Stiftung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
Batsheva Dagan 2009 mit Mädchen von Reachina (Berlin-Neukölln) beim 5. Generationenforum der Dr. Hildegard Hansche Stiftung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

In der Lage, sich in sieben Sprachen zu verständigen, in mindestens vier davon fließend, war Batsheva Dagan international eine willkommene Gesprächspartnerin und Rednerin. Ob als Gastdozentin in Hochschulen oder als Rednerin in den Gedenkstätten Yad Vashem, Auschwitz-Birkenau oder Ravensbrück, ob als Zeitzeugin in den Schulen Mecklenburg-Vorpommerns oder als Gedichtrezitatorin im Landtag Schwerin oder anderswo in der Welt – Batsheva Dagan liebte das Gespräch, die Poesie und die Musik.

Batsheva Dagan 2006 mit der damaligen Landtagspräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Sylvia Bretschneider
Batsheva Dagan 2006 mit der damaligen Landtagspräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Sylvia Bretschneider. Gemeinsam unternahmen die beiden zahlreiche Gedenkstättenfahrten mit Jugendlichen aus Mecklenburg-Vorpommern

Große Bekanntheit erreichte sie mit ihren Kinderbüchern, darunter „Chica – Die Hündin im Ghetto“, „Wenn Sterne sprechen könnten“ und „Was geschah in der Shoah? eine Geschichte für Kinder, die es wissen wollen“. Mit solchen Büchern wollte sie ganz jungen Kindern vermitteln, was geschehen ist, als ihre (Ur-)Großeltern Kinder waren.

Ihre Geschichten haben aber „selbstverständlich ein Happy End“, wie sie nicht müde wurde zu betonen, „es ist meine Pflicht, den Kindern die Hoffnung nicht zu rauben.“ Ihre Bücher werden in allen israelischen Kindergärten gelesen, sie wurden in mehrere Sprachen übersetzt und sind seit vielen Jahren auch im deutschsprachigen Raum sehr bekannt. Ein Band mit Gedichten, die sie nach ihrer Lagerzeit verfasst hat, wurde 2005 unter dem Titel „Gesegnet sei die Phantasie – verflucht sei sie! Erinnerungen von ‚Dort‘", im Berliner Metropol Verlag veröffentlicht. Die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen-Anhalt sorgte dafür, dass pädagogische Materialien rund um das Kinderbuch „Chica, die Hündin im Ghetto“ entstanden, nachdem auf der Grundlage dieses Buches ein Animationsfilm entwickelt worden war.

Ich nehme Abschied – Trauer im Herzen und Freude über zwanzig gemeinsame Jahre

In meinen zahlreichen Begegnungen, Gesprächen, Lesungen mit Batsheva Dagan habe ich viel über das Leben gelernt. Mit keiner konnte ich so umfassend philologische, philosophische oder psychologische Probleme erörtern. Mit keiner konnte ich so herzhaft kichern. Mit keiner konnte ich so intensiv meine Liebe zu Poesie und Musik teilen. Mit keiner durfte ich so persönlich Anteil nehmen an ihren Verlusten, an ihren Sorgen und Ängsten. Mit keiner so viel weinen über das Verlorene. Und kämpfen gegen das Vergessen.

Im November 2023 haben wir uns in Malchow das letzte Mal in die Arme genommen. 98 Jahre, aber immer noch dachten wir beide irgendwie, nach all dem Tod, den du erleben musstest, wirst du selbst für ewig leben…. Nicht naiv, nein, das warst du nie: „Seitdem ich 80 bin, ist jeder Tag für mich ein Geschenk“, pflegtest du immer zu sagen. Und fingst an zu hüpfen und zu tanzen. Aus Freude am Leben, aber auch ein bisschen, um fit zu bleiben.

„Yofi“, das war der Ausruf, wenn du zufrieden warst. Oder aufmüpfig. Oder jemand anderes dir eine Freude machte.

„Yofi“ sagtest du, als der amtierende Bürgermeister von Malchow, René Putzar, fest versprach, den KZ-Gedenkort in seiner Inselstadt mit der Hilfe einer ganzen Runde Unterstützer:innen neu zu gestalten.

„Yofi“ sage ich, dass ich dich fast zwanzig Jahre auf deinem Lebensweg begleiten durfte.

„Hoffentlich werden die kommenden Generationen dafür sorgen, dass das tragische Schicksal der Opfer unvergesslich bleibt. Und das so schreckliche Diktaturen nie wieder entstehen können.“ Das war dein Wunsch und der Wunsch vieler Überlebender der Konzentrationslager. Wir werden ihn beherzigen!

Constanze Jaiser, im Februar 2024

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