Zunächst wurde das Lager vom Reichsarbeitsdienst (RAD) genutzt, später waren italienische Zwangsarbeiter in den Baracken untergebracht, schließlich wurde es zu einem Konzentrationslager. Gesichert ist, dass im Sommer 1944 männliche Häftlinge aus einem Außenlager des KZ Sachsenhausen, den Heinkel-Werken, nach Retzow verlegt wurden. Rund 800 Männer wurden sehr wahrscheinlich Anfang Februar 1945 von dort nach Ellrich, einem Außenlager von Mittelbau-Dora, deportiert. Kurz darauf wurden weibliche Häftlinge ins leerstehende Lager verlegt – die meisten von ihnen waren vorher in Auschwitz und Ravensbrück gewesen. Viele waren Französinnen und Ungarinnen, viele waren Jüdinnen, doch auch Sinti und Roma und andere Verfolgtengruppen mussten unter brutalen Bedingungen Zwangsarbeit leisten. Ihre Anzahl schwankte zwischen 1.500 und über 3.000 Frauen und Mädchen.
Das einstige Dorf Rechlin mit einigen Hundert Einwohnern wuchs zu einer Wissenschafts- und Schaltzentrale der deutschen Luftwaffe. 1943 arbeiten auf der E-Stelle über 4.000 Personen. Die Geschichte des dortigen Konzentrationslagers war lange Zeit tabuisiert. Dagegen engagierten sich viele Technik- und Luftfahrtbegeisterte für das entstehende Museum, darunter auch zahlreiche Nachfahren derjenigen, die dort einst gute Posten innehatten.
Lokale Spurensuche
Dem Lokalhistoriker Heinrich Roß ist es zu verdanken, dass er Licht in die Geschichte seiner Region brachte. Ende der 1990er-Jahre führte Angi Meyer, Gedenkstättenpädagogin an der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, internationale Workcamps am Ort durch, zusammen mit einem Archäologen sowie mit Heinrich Roß und noch lebenden Zeitzeuginnen. Es sollte beinahe weitere 20 Jahre dauern, bis eine Schülergruppe um die Rechliner Lehrerin Elke Gamlin und unterstützt von der Geschichtswerkstatt zeitlupe der RAA M-V erfolgreich dafür kämpfte, dass der Ort ein würdiger Gedenkort wurde. Am Ende unterstützten auch Bürgermeister und Kommune ihr Ansinnen. Heute ist der Ort eine Gedenkstätte, die von anderen Initiativen besucht wird, um zu sehen, wie aus einem kleinen Beginn ein vorzeigbarer lebendiger Erinnerungsort werden kann.
Module für (digitale) Erinnerungswerkstätten
Die RAAbatz Medienwerkstatt hat die Jugendlichen der Rechliner Regionalschule bei ihrer lokalen Spurensuche begleitet und einen Film gemacht. Dazu einen weiteren, ein berührendes Porträt der damals 17-jährigen Judit Varga, geborene Hoffmann, die mit ihrer Mutter aus Auschwitz nach Retzow-Rechlin verschleppt worden war. Ein Transkript des Interviews findet sich hier unter den Materialien.
Projektmappe zur lokalen Spurensuche in Retzow-Rechlin
Exkursionen, Workshops und Projekttage werden von der RAA-Geschichtswerkstatt zeitlupe angeboten.
Das überLEBENSWEGE-Kollektiv hat darüber hinaus historische Quellen recherchiert und digitale Tools entwickelt, die sich für unterschiedliche Zugänge eignen:
- So können verschiedene Materialien, wie Zeichnungen von französischen Häftlingen oder Biografien von jungen Frauen, in einem kreativen Prozess des Sampling kombiniert werden mit beeindruckenden Filmaufnahmen des Geländes.
- Auf einem extra Portal, dem local-history.net, stehen FilmFragmente von Ortsbegehungen zum Download zur Verfügung. Sie sind wissenschaftlich fundiert und z.T. aus besonderen Perspektiven gedreht. local-history.net – eine Sammlung von zahlreichen Filmclips.
- Bislang weitgehend unbekannt ist, dass Kinder aus der Landesanstalt Brandenburg-Görden auf der E-Stelle für Menschenversuche missbraucht wurden.
- Das Zeitzeugeninterview mit Judit Varga (-Hoffman), die als 17-Jährige im KZ Retzow-Rechlin ihre Mutter sterben sehen musste, ist in den Materialien von RAAbatz und zeitlupe enthalten; zusätzlich findet sich hier das gesamte Transkript des Interviews.
- Beeindruckende Häftlingszeichnungen von drei Französinnen und biografische Informationen zu ihnen finden sich ebenfalls hier.
- Unser beweglicher als auch bewegender MEMORInator, wie wir ein digitales Tool nennen, führt mit Hilfe von Quellen und künstlerischen Elementen in digitales Handeln ein. Das „MEMORI“, also ein persönliches Erinnerungsstück (nicht das bekannte Memory-Paarkartenspiel sondern „memento“ steckt darin, deshalb wird das „o“ betont), das hier spielerisch entwickelt werden kann, steht durchaus für sich allein. Es kann aber auch dazu motivieren, das individuelle zu einem kollektiven Erinnerungszeichen zu gestalten, indem es mit anderen geteilt wird.
- memorianator.local-history.net – ein Tool zum GRABEN, RKUNDEN, ERINNERN, LINK dahinter legen:
- Auf YouTube überLEBENSWEGE – Biografien, Ortsfilme und Projektbeispiele
- Ortsfilm: RETZOW-RECHLIN - Außenlager des KZ Ravensbrück