Neubrandenburg-Fünfeichen
Neubrandenburg-Fünfeichen
Neun Jahre, drei Nutzungsphasen, zwei totalitäre Systeme und weit über 10.000 Tote; mit diesen Zahlen lässt sich der historischen Ort Neubrandenburg-Fünfeichen grob beschreiben. Allein aufgrund der Opferzahlen zählt die „doppelt“ gelagerte Geschichte dieses Ortes zu den bedeutendsten, aber auch dunkelsten Kapiteln der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns.
Neubrandenburg-Fünfeichen
Die Geschichte des Lagerkomplexes Fünfeichen
Während des Zweiten Weltkriegs wurde auf dem ehemaligen Gutshof Fünfeichen das Kriegsgefangenenlager Stalag II A sowie die Offizierslager Oflag II E und Oflag 67 unter Verantwortung der deutschen Wehrmacht errichtet. 1945 übernahm die Rote Armee (sowjetisches Militär) das Gelände und nutzte es für kurze Zeit als Repatriierungslager für die Rückführung sogenannter Displaced Persons (z.B. KZ-Überlebende, Zwangsarbeiter*innen) in ihre Heimatländer. Anschließend verantwortete die sowjetische Staatssicherheit NKWD bis Ende 1948 den Lagerkomplex als Speziallager Nr. 9, um ehemalige Nationalsozialist*innen, aber auch zahlreiche Unschuldige dort zu internieren. Heute erinnert die Mahn- und Gedenkstätte Neubrandenburg-Fünfeichen an die Opfer beider Lagernutzungsphasen.
Das Kriegsgefangenenlager (1939 - 1945)
Fast 120.000 Kriegsgefangene aus elf Staaten registrierte die Wehrmacht zwischen 1939 und 1945 im Stalag II A Neubrandenburg-Fünfeichen. Historiker*innen gehen davon aus, dass zwischen 6.000 und 8.000 von ihnen die Kriegsgefangenschaft nicht überlebten. Der überwiegende Teil starb an Hunger, Krankheiten oder den Folgen von schwerer Zwangsarbeit. Welche Überlebenschance ein kriegsgefangener Soldat hatte, hing von seiner Herkunft ab. Zwar erkannte das NS-Regime die Genfer Konvention zur Behandlung der Kriegsgefangenen an, gewährte aber nur einem kleinen Teil tatsächlich das zugestandene Recht. Stattdessen setzten die Verantwortlichen der Wehrmacht in den Kriegsgefangenenlagern die nationalsozialistische Rassenideologie durch. So mussten insbesondere Gefangene aus osteuropäischen Ländern wie Polen oder dem damaligen Jugoslawien mit erheblich härteren Lebens- und Arbeitsbedingungen zurechtkommen, als britische, US-amerikanische oder französische Soldaten. Sie wurden zu schwererer Arbeit gezwungen, von den Wachmannschaften erniedrigend behandelt und ihre Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung eingeschränkt. Am unteren Ende der Kriegsgefangenenhierarchie der Wehrmacht standen sowjetische Soldatinnen und Soldaten der Roten Armee, denen jeglicher völkerrechtlicher Schutz entsagt wurde. Ideologisch-rassistisch legitimiert durch das Ziel, den „jüdisch-bolschewistischen“ Staat für immer von der Weltkarte zu löschen, sollten gefangengenommene Rotarmistinnen und Rotarmisten – die Frauen im KZ Ravensbrück, die Männer in Fünfeichen – durch schwerste Zwangsarbeit bei Hungerrationen und medizinischer Unterversorgung vernichtet werden. Über 90 % der Todesopfer im Stalag II A waren Angehörige der Roten Armee, die in Massengräbern verscharrt wurden. Kurz vor Kriegsende befreiten sowjetische Truppen das Kriegsgefangenenlager.
Das Repatriierungslager (1945)
Die weitgehend vorhandene Lagerstruktur nutzten die sowjetischen Verantwortlichen von Mai bis September 1945 als Repatriierungslager zur Rückführung ehemaliger Zwangsarbeiter*innen, Kriegsgefangener und KZ-Überlebenden in ihre Heimatländer.
Das Speziallager Nr. 9 (1945 - 1948)
Bereits Ende Mai 1945 errichtete das NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der UdSSR) das Speziallager Nr. 9 Neubrandenburg-Fünfeichen zur Internierung von Nationalsozialist*innen, Systemträger*innen und als Sicherheitsrisiko eingestufter Personen. Insgesamt 15.400 Personen waren bis Ende 1948 im Speziallager Nr. 9 interniert. Der überwiegende Teil bestand aus ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und Angehörigen der deutschen Straforgane wie Polizeikräften oder KZ-Wachpersonal. Allerdings verhaftete das NKWD auch lediglich auf Verdacht zahlreiche Unschuldige und Minderbelastete wie konservative oder sozialdemokratische NS-Gegner*innen sowie zahlreiche Jugendliche und hielt sie willkürlich fest. Gerichtsprozesse wurden den Internierten nicht gewährt, allenfalls erpressten NKWD-Beamte Schuldeingeständnisse vor der Internierung durch Folter. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medizin war unzureichend, und den Gefangenen war die Kommunikation mit der Außenwelt verboten. Durch die katastrophalen Lebensbedingungen starben fast 5.000 im Speziallager Nr. 9 Internierte an Hunger und Krankheiten oder erfroren im Winter. Um die Zustände im Lager zu vertuschen, wurden auch sie in Massengräbern verscharrt. Eine Entnazifizierung wie in den Internierungslagern der Westalliierten wurde von den sowjetischen Besatzern nicht angestrebt. Im Laufe des Jahres 1948 entließ das NKWD die meisten Internierten und löste das Lager auf. Die Übrigen wurden in andere Lager verlegt und vor Gericht gestellt.
Neubrandenburg-Fünfeichen als Lernort entdecken
Von dem ehemaligen Lagerkomplex Neubrandenburg-Fünfeichen sind heute nur noch Überreste vorhanden, doch erzählen diese von der spannenden Geschichte des Ortes. Im Rahmen einer Exkursion mit ortskundiger Begleitung können die auffindbaren Überreste der ehemaligen Lageranlagen erkundet werden. Der Ort, an dem sich die beiden Lager befanden, liegt heute auf einem Truppenübungsplatz der Bundeswehr und kann nur mit Genehmigung betreten werden. Anhand von neu entwickeltem pädagogischen Material für wechselseitige Führungen können Besucher*innen die Geschichte der Kriegsgefangenen sowie der Speziallagerhäftlinge kennenlernen. In Kombination mit ergänzenden vor- und/oder nachbereitenden Lerneinheiten ermöglichen sie einen menschenrechtspädagogischen Zugang zur Geschichte beider deutscher Diktaturen. Durch ihren regionalen Bezugspunkt ist die Geschichte dieses Ortes mit den pädagogischen Angeboten besonders für Schüler*innen aus Mecklenburg-Vorpommern interessant. Die Angebote orientieren sich an den Curricula der Klassenstufen 9 bis 13 aller Schulformen.
Pädagogische Angebote zum Ort:
- Stadtrallye #SPURENSUCHEdigital - Lager in Fünfeichen
- Historischer Lehrpfad "Spurensuche - Orte der Gewalt" - Lager in Fünfeichen
- Exkursion mit ortskundiger Begleitung zum Kriegsgefangenenlager Stalag II A oder zum Speziallager Nr. 9 (und Einholung der entsprechenden Genehmigungen für den Besuch)
- Pädagogisches Material für wechselseitige Führungen vor Ort
- Pädagogisches Material mit vor- und nachbereitenden Lerneinheiten
Bei Interesse am pädagogischen Angebot wenden Sie sich bitte an: zeitlupe@raa-mv.de
Gern können auch Projektideen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit an uns herangetragen werden.