Weitin | Sinti- und Roma-Lager

Weitin - Luftbild

Weitin-Neubrandenburg | Sinti- und Roma-Lager

Weitin nahm eine wichtige Rolle für die Sinti und Roma in Mecklenburg und Vorpommern ein. Eine sich damals nordöstlich, auf dem Landweg nach Woggersin befindende, Kies bzw. Sandgrube diente den Familien der Sinti und Roma seit den 1920er-Jahren als Wohnstandort und als Ort, von dem aus sie ihren mobilen Berufen nachgingen (Jeske 2023, S. 45)

Mit dem „Festsetzungsbefehl“ der nationalsozialistischen Machthaber im Jahr 1939 wurde der Wohnstandort zu einem Sammellager – unter Kontrolle und betrieben von der Ortspolizei des Landkreises Stargard. Die Zahl der Sinti*zze und Romn*ja im Zwangslager blieb nicht konstant. Einige zogen mit Genehmigung der Polizei weg, andere wurden verhaftet und zur Zwangsarbeit verschleppt. Anderen aus der Region wurde ein Arbeitsplatz in Neubrandenburg zugewiesen und sie mussten fortan im Zwangslager Weitin leben. Im Frühjahr 1943 kann von 70-80 Personen ausgegangen werden, die hier wohnten – mindestens sechs Großfamilien, einige Kleinfamilien und alleinstehende Frauen  (Jeske 2023, S. 48).

Am 8. März 1943 umstellten Polizei und Dorfeinwohner, Mitglieder der SA, die Sandgrube. Alle wurden in das Gefängnis in der Landesanstalt Neustrelitz-Strelitz gebracht, um sie wenig später mit allen anderen Sinti*zze und Rom*nja aus Mecklenburg nach Auschwitz-Birkenau zu verschleppen. Darunter waren mindestens die Hälfte Kinder unter 14 Jahren. Nur einige wenige überlebten, die meisten ermordeten die SS und ihre Helfer*innen.

Historische Forschung zu Sinti und Roma in Mecklenburg und Vorpommern, eine Graphic Novel und eine Fachstelle Antiziganismus

Die RAA – Demokratie und Bildung Mecklenburg-Vorpommern e. V. hat für ihre Aktivitäten und Maßnahmen rund um das Thema „Sinti*zze und Rom*nja“ im Jahr 2023 den ersten Landesintegrationspreis erhalten. 

Zu ihren Aktivitäten gehören die Herausgabe und redaktionelle Begleitung einer Graphic Novel (Anna-Friederike Pöschel), eines Essays zur Geschichte der Sinti und Roma in Mecklenburg und Vorpommern (Natalja Jeske) und eine Fachstelle Antiziganismus (Iris Wachsmuth), die sich um gegenwärtige Belange einsetzt. 

Es gibt noch viel zu tun …

Bereits 1993 wurden alle Mitgliedsstaaten der EU im Rahmen der Kopenhagener Erklärung dazu verpflichtet, nationale Minderheiten zu schützen. Darunter fallen auch Sinti*zze und Rom*nja als größte Minderheit Europas mit etwa 11 Millionen Kinder, Frauen und Männern. Jedoch leben Sinti*zze und Rom*nja im heutigen Europa noch häufig in Armut – insbesondere in ost- und südosteuropäischen Ländern – und erleben Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung in zentralen Lebensbereichen, wie Bildung, Wohnen, Arbeitsmarkt und Gesundheit.

Um den Missständen entgegenzuwirken, wurden seit Anfang des 21. Jahrhunderts EU-weit Projekte zur Inklusion und Teilhabe von Sinti*zze und Rom*nja gefördert. Die Notwendigkeit derartiger Maßnahmen unterstreicht u. a. eine EU-weite Befragung aus dem Jahr 2020, die im Ergebnis zeigt, dass 41% der Rom*nja in der EU in den vergangenen fünf Jahren Diskriminierung erlebt haben. Darüber hinaus sind laut der Befragung im Jahr 2020 noch immer 85% der Kinder aus Sinti- und Roma-Familien von Armut bedroht (in der Gesamtbevölkerung im Vergleich dazu nur 20%); 62% der Jugendlichen sind nicht an Bildung, Beschäftigung oder Ausbildung beteiligt. (vgl. z.B. Cudak & Rostas, 2021).

Für Deutschland weisen die Ergebnisse der Einstellungsforschung darauf hin, dass in der deutschen Gesellschaft nach wie vor antiziganistische Einstellungen verankert sind und sich über die letzten Jahre auf einem hohen stabilen Niveau gehalten haben. Zudem zeichnet sich gegenüber Sinti*zze und Rom*nja im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen eine besonders große soziale Distanz und Antipathie in der Mehrheitsgesellschaft ab, wodurch wiederum von einem erhöhten Diskriminierungsrisiko für Sinti*zze und Rom*nja auszugehen ist (vgl. Unabhängige Kommission Antiziganismus, 2021, S. 341f.; Schultz, 2014).

Quellen zum Zuhören und Ansehen

In Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung an der Hochschule Neubrandenburg (Bachelorstudiengang Soziale Arbeit) sind mehrere Module entstanden. Ergebnisse aus den Projektwerkstätten finden sich auf dem überLEBENSWEGE-YouTube-Kanal.

Auf YouTube überLEBENSWEGE – Biografien, Ortsfilme und Projektbeispiele 

Das Kollektiv von überLEBENSWEGE bietet hier in der #DigiHistoryBox zum historischen Ort Weitin spannende Quellen zum Hören und Ansehen. Diese Audio- und Videoquellen lassen sich sehr gut nutzen für das Sampling von FilmFragmenten: als Informationsquelle, als Tonspur, als Inspiration für eigene Texte, Audios und Videos. Auf einem extra Portal, dem local-history.net, stehen FilmFragmente von Ortsbegehungen zu Weitin (und sieben weiteren historischen Orten in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg) zum Download zur Verfügung. Sie sind wissenschaftlich fundiert und z.T. aus besonderen Perspektiven gedreht. 

local-history.net – eine Sammlung mit zahlreichen Filmclips 

Für das eigene Sampling, das Forschen und Verstehenwollen, was die Geschichte und die Erinnerung heute bedeutet, finden sich hier zum Download zum Beispiel

  • eine Hörstation von Katharina Huber rund um die Frage, wer Sinti und Roma eigentlich sind und was Stereotype und Ausgrenzung für diese in Deutschland und Europa seit über 600 Jahren lebende Minderheit bis heute bedeutet.
  • ein Gedicht der Schriftstellerin Silke Peters, die als Tonspur den lokalen FilmFragmenten folgt. Es wird rezitiert von Gabi Garland. Der Text befindet sich hier unter den Materialien. https://youtu.be/V8oyYWHhhAM?si=qa2ye1ohY8SDUKbU
  • ·Die Künstlerin Anna-Friederike Pöschel hat mit uns aus Papier animierten Stop-Motion-Videos gemacht: zum einen erzählt sie über die Geschichte des Weitiner Pferdehändlers und Sinto Albert Lutz: Biografie Albert Lutz (youtube.com) Zum andere über die Sintezza Hulda Schaffrenski.
  • Ein Gespräch zwischen Ramona Sendlinger und ihrem Mann Harald, das im Februar 2024 in Waren an der Müritz im Rahmen eines Fachtages geführt wurde. Ramona Sendlinger ist die Enkelin des Weitiner Pferdehändlers Albert Lutz und berichtet sehr persönlich aus ihrem Leben als Sintizza: https://youtu.be/6tizwbqBhw8?si=klXxoinYnDT7abP7
  • Ein Ortsfilm, der zugleich einführt in die vorhandenen FilmFragmente: WEITIN-NEUBRANDENBURG - größtes Lager der Sinti*zze und Rom*nja in M-V (youtube.com)

Alle Dokumente

Weitin - Überblick
Weitin - Chronologie d. Verfolgung d. Sinti und Roma
Weitin - Albert Lutz Biografie und Dokumente
Weitin - Albert Lutz Biografie 1
Weitin - Albert Lutz Biografie 2
Weitin - Silke Peters "Weitin, Weithin"
Weitin - Hörstation
Weitin - Transktipt Hörstation
Weitin - Auszug aus Sinti und Roma in M-V
E-Book zur Geschichte von Sinti-Kindern aus dem Raum Waren (Müritz)
Obermayer Award Preisträger

Die RAA-Geschichtswerkstatt zeitlupe ist ein Projekt der RAA – Demokratie und Bildung Mecklenburg-Vorpommern e. V. und wird von der Freudenberg Stiftung gefördert. 

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